Durch einen Kurpfuscher vergiftet
Göttinger Zeitung
vom Samstag, 01. Juni 1963
, von Dr. Martin Granzin
Die Akten berichten vom merkwürdigen Tod des Osteroder Pastors A. Böttcher Osterod e. Pastor Andreas Böttcher ist in den Jahren 1624—1640 Pfarrer an unserer Marktkirche St. Aegidien gewesen. Er hat mit seiner Gemeinde die schlimmsten Zeiten des unheilvollen 30jährigen Krieges erlebt, der auch über Osterode Not und Elend brachte. Er hat auch das schlimmste Osteroder Pestjahr 1626 miterleben müssen, das aus seiner Gemeinde über ein Drittel aller Gemeindemitglieder dahinraffte.
Als kaiserliche Truppen unter Merode ungeachtet aller Schutzbriefe für die Stadt, die der damalige Bürgermeister Wendt erwirkt hatte, die Stadt plünderten und ausraubten, wurde er wegen seines mutigen Verhaltens der wilden Soldateska gegenüber auf Befehl von Merode verhaftet und mit angesehenen Osteroder Bürgern und Ratsmitgliedern unter Bewachung kaiserlicher Truppen im Stadtgefängnis in Haft gehalten. Am 26. August 1640 starb Böttcher, wie wir aus den Kirchenbüchern und anderen Mitteilungen wissen, an den Folgen einer an ihm vorgenommenen Kur. Er hatte zeitlebens an einem Augenleiden gelitten, das zwar diagnostisch und ärztlich genau nicht mehr festzustellen ist (darüber fehlen ja stets in den Angaben der damaligen Zeit genaue medizinische Notizen), vielleicht aber handelte es sich um ein Starleiden. Sicher ist, daß sich Böttcher in Osterode einer „Kur", wohl bei einem umherreisenden „Chirurgen", unterzog. Solche reisenden Chirurgen gab es viel in damaliger Zeit, Eisenbart ist der größte unter ihnen, freilich war dieser „besser als sein Ruf" (das sei im Eisenbart-Jahr ausdrücklich vermerkt).
Böttcher stammte aus Hattorf, wo die Familie alteingesessen war, verwandt sicher auch mit den Förster und Osteroder Böttchers, von denen wir jetzt durch die Forschungen von Oberstudiendirektor Böttger sehr viel mehr wissen als früher. Er ist dort in Hattorf 1573 geboren und wurde mit 29 Jahren schon Rektor der Osteroder Lateinschule. Dem alten Pfarrer Sinderam wurde er, wie es üblich war, als geistlicher Gehilfe beigegeben. Bis 1624 blieb er im Rektorenamt. Nach den Akten litt er fortgesetzt an einer Verschlimmerung des rechten Auges, an einer „Fistel", wenn dem Ausdruck medizinische Glaubwürdigkeit zukommt. Sachgemäß scheint dieses Leiden nie behandelt worden zu sein, obwohl Böttcher, wie es heißt, einige „Kapazitäten" konsultierte, vielleicht sogar an der Universität Helmstedt. Später verschlimmerte sich das Leiden noch. Der Krieg machte eine Behandlung unmöglich. Inzwischen war Böttcher Pfarrer an St. Aegidien geworden.
Schon vor 1640 muß der Pfarrer einem Kurpfuscher in die Hände gefallen sein, der dem Leiden mit einer „Pferdekur", nämlich mit sehr scharfen und beizenden Mitteln, zu Leibe ging. Als diese Kur nichts fruchtete, fiel der ahnungslose Pfarrer auf einen zweiten Quacksalber herein, von dem wir jetzt sogar den Namen kennen. Es war der Barbier und Bader Bastian Lippolt, der sich auch Feldscher nannte. Sicher führte er auch kleine chirurgische Operationen durch, was ebenfalls damals nicht verwunderte. Vielleicht war Lippolt mit den kaiserlichen Truppen nach Osterode gekommen. Lippolt verordnete dem Pfarrer eine Heilsalbe, mit der der ganze Körper eingerieben werden mußte. Sicher war sie der damals sehr beliebten, „allheilenden" „Schwarzen Salbe", die sogar in unserer Zeit noch die Schäfer benutzten, nicht unähnlich. Außerdem gab er dem Pfarrer auch starke „Purgierungs-mittel" ein, die die ohnehin geschwächte Konstitution des Geistlichen noch mehr schwächten. Der Pfarrer starb an einem ruhrartigen Durchfall am 28. August 1640.
Tippolt wurde verhaftet. Nach dem Untersuchungsprotokoll gab er an, er habe die Wurzel des „Springhorns" verwandt, einer vermutlich recht giftigen Pflanze, obwohl mit ihr der Kurpfuscher bedeutende Leute geheilt haben wollte, so höhere Offiziere auf dem Feldzug. Aber Lippolt konnte nicht mehr abgeurteilt werden, er konnte fliehen und entkam nach Goslar. Der dortige Rat sah zunächst keine Handhabe den wiederum Aufgegriffenen abzuurteilen oder in Haft zu halten. Schließlich wandte sich der Osteroder Rat, der auf Auslieferung des Inhaftierten bestand, an die Juristenfakultät in Helmstedt, die in ihrem Gutachten auf eine Buße an die Frau und Kinder des Pfarrers plädierte. Man riet sogar zu Bürgen, wenn Lippolt die Summe (es waren hundert Taler) nicht bezahlen konnte. Damit war aber der Tod des verdienten Mannes nicht gesühnt. Er stand bei seiner Osteroder Gemeinde in höchstem Andenken, denn er war seinen Pfarrkindern in den schlimmsten Notzeiten ein wirklicher Hirte gewesen.
So wirft der „Lippolt-Prozeß", wie wir ihn nennen können, auf die damaligen Zustände manch interessantes Schlaglicht. Er zeigt schlaglichtartig auf, daß sich im Lande damals Kurpfuscher aller Sorte breit machen konnten, die meist rigoros genug waren, barer Münze wegen ohne genügende Sachkenntnis, nur auf Grund von meist nicht nachzuprüfenden „Referenzen" medizinische Heilbehandlungen vorzunehmen. Drg.