1850 wütete die Cholera in Osterode
Aus Alt-Osterode:
Osterode. In einer sehr genau geführten Akte der Gesundheitspolizei von Osterode, der wir hier folgen, wird über den Ausbruch und Verlauf einer Cholera-Epidemie in Osterode berichtet, die die Stadt im Sommer 1850 helmsuchte. Es war ein Cholerajahr auch in anderen Orten Niedersachsens. Auch Braunschweig ist damals von der Krankheit betroffen worden (vergl. „Zeitschrift des Harzvereins f. Geschichte und Altertumskunde" XVII, S. 144).
Bereits im Juli 1850 wurden in der Stadt Nachrichten bekannt, die von dem Ausbruch der „Asiatischen Cholera", wie man die Epidemie allgemein nannte, in Duderstadt und vor allem in Gieboldehausen zu berichten wußten. Sofort ergriff die Stadt Verhütungsmaßnahmen, die der damalige Stadtphysicus und Stadtarzt Dr. Conradi mit Umsicht traf. Trotzdem wurde die Krankheit nach Osterode eingeschleppt. Die Akte läßt nicht erkennen, auf welchem Wege sie in die Stadt kam. Bei dem lebhaften Durchgangsverkehr durch Osterode konnte natürlich jeder Reisende, jeder Fuhrmann, Krankheitsträger sein. Sicher ist, daß schon einige Wochen vor Ausbruch der Cholera in Osterode Gieboldehausen ziemlich schwer betroffen war. Für Osterode gibt die Akte als Datum des Ausbruches der Krankheit den 11. August 1850 an. In einem leider sonst nicht näher bezeichneten Haus „am Lerbach" in der Johannisvorstadt ereigneten sich die ersten Krankheitsfälle. Bis 20. August waren bereits 150 Einwohner erkrankt. Rasch griff die Epidemie von der Johannisvorstadt über das Söseufer zum Dielenplan über und von dort auch nach der Marienvorstadt. Das städt. Hospital reichte nicht aus, die Kranken aufzunehmen. So beschloß man, das Kaisersche Gartenhaus vor dem Johannistor zum Hilfskrankenhaus einzurichten. Dr. Conradi mußte insgesamt 16 Krankenwärter bestellen und richtete, da der ihm zur Seite stehende Wundarzt Dr. Koch selbst an der Cholera erkrankte, am 21. August einen Hilferuf an die Landdrosterei in Hildesheim, zumal ihn das Amt Osterode mit den Abwehrmaßnahmen über die Stadt hinaus beauftragt hatte.
Am 23. August traf Professor Herbst aus Göttingen in Osterode ein. Ihm ging der Ruf eines Spezialisten voraus. Hatte er doch in Mühlhausen i. Th. und auch in Gieboldehausen bereits durch seine energischen Maßnahmen sehr viel zur Bekämpfung der Seuche beigetragen. Sorge machte den Osteroder Ärzten der Genuß unreifen Obstes durch die Bevölkerung, der sich, trotz Verbot eines öffentlichen Obstverkaufs auf den Märkten der Stadt und in der Freiheit, bei der fortgeschrittenen Jahreszeit und Reifezeit der Früchte nicht verhindern lassen wollte. Öffentliche Anschläge in der Stadt und Verhaltungsmaßregeln bei der Bevölkerung hat vor allem wohl auch der genannte Prof. Herbst veranlaßt. Auch die Ärzte Dr. Dedekind und Dr. Frank wurden hinzugezogen und leisteten in Krankenhäusern und Wohnungen kräftige Hilfe.
Trotzdem stieg die Zahl der Erkrankungen und leider auch der Toten. Nach Berechnung der vorliegenden Akte sind bis zum 16. September 1850 in Osterode 319 Einwohner an der Cholera erkrankt und 72 Einwohner verstorben. Das sind täglich 10 Krankheitsfälle und 2 bis 3 Verstorbene innerhalb 4 Wochen. Die fortlaufend einberufene Stadt Vertreter Versammlung, auf der Dr. Conradi und seine Ärzte über den Stand der Dinge berichteten, konnte nach gänzlichem Abflauen der Epidemie in Osterode feststellen, daß durch das energische Durchgreifen des Ärztekollegiums die Krankheit in Osterode einen verhältnismäßig glimpflichen Verlauf nahm. Auf dem Eichsfeld war ihr Verlauf bei weitem schlimmer, und man braucht ja nur an das große Hamburger Cholerajahr zu denken, um zu ermessen, daß Osterode verhältnismäßig schnell der Epidemie Herr wurde. „Die gesunde Harzluft hat das übrige getan", heißt es einmal in einem Bericht der Ärzte. Als Dr. Conradi, der übrigens durch die großen Strapazen während der Epidemie und durch seine vielen Nachtwachen um einen größeren Erholungsurlaub nachsuchen mußte, zu Ende September einen Überblick über den Verlauf der Krankheit gab, gedachte er in besonderen Worten der Anerkennung seiner Kollegen, daneben auch der Wundärzte Deppe und Neuse und aller Heilgehilfen. Bader Mues (Mues, Heinr. Philipp Julius 1. 7. 1834 Neubürger) ist selbst ein Opfer der Cholera geworden. Seine Witwe hat später eine Ehrenrente von der Stadt erhalten.
Über die reinen Berichte dieser Verwaltungsakte hinaus verdient der sehr sorgfältig geführte Aktenband unser besonderes Interesse. Es ist erstaunlich, daß die Stadtgeschichtsschreibung des Osteroder Cholerajahres recht wenig oder nur am Rande (wie Ubbelohnde in seiner Chronik: „aus vier Jahrhunderten (1891) S. 180) gedenkt. Die Stadt hatte durch die Krankheit eine große Last an Mehrausgaben. So hatte Professor Herbst täglich allein 5 Taler Entschädigung erhalten. In der Kämereirechnung des Jahres 1850 werden die Mehrausgaben aus Anlaß der Epidemie mit etwas über 819 Talern angegeben. Darunter befinden sich die Sonderhonorare für die Ärzte, Wundärzte und Heilgehilfen, für die Apothekerkosten und auch für den städtischen Polizeidiener Schräder, der, wie es heißt, einen besonderen Anteil an der raschen Bekämpfung der Seuche hatte, weil nur ihm die schnelle Verbreitung der jeweiligen gesundheitspolitischen Anordnungen zu danken gewesen sei.
Quelle: Stadtarchiv Osterode, Regim. C Nr. 4